Hermann Weyl (1885-1955)
Weyl begann sein Studium 1904 in Göttingen, unter anderem bei David Hilbert, wechselte für kurze Zeit nach München und kehrte anschließend nach Göttingen zurück. Hier hatte er ab 1908 für fünf Jahre eine Dozentur. 1913 nahm er einen Ruf an die ETH Zürich an. 1930 wurde er Nachfolger Hilberts in Göttingen.
1933 emigrierte Weyl (wie viele andere Mathematiker aus dem Göttinger Institut, das bis dahin den "Nabel der mathematischen Welt" dargestellt hatte) in die USA, unter anderem deshalb, weil seine Frau Helene Jüdin war. Er, mütterlicherseits verwandt mit Ernst Barlach, fühlte sich sehr mit seiner Schleswig-Holsteinischen Heimat und seinem "Geliebten Deutsch" verbunden. Noch 1929 hatte er einen günstigen und ehrenvollen Ruf nach Princeton u.a. deshalb abgelehnt, weil er "dies wohl doch auf die Dauer schwer ertragen würde, aus dem Born der Muttersprache herausgerissen zu werden." Für das Mathematische Deutschland bedeutete Weyls Weggang in die USA einen unersätzlichen Verlust.
Nach seiner Emeritierung 1951 in Princeton war Weyl wieder in Zürich und Göttingen tätig. Die Ehrenbürgerwürde seiner Geburtsstadt Elmshorn wurde ihm drei Wochen vor seinem Tode in Zürich verliehen.
Hermann Weyl hat auf beinahe allen Gebieten der Mathematik hervorragende Leistungen erbracht, so in der Funktionentheorie, der Algebra, der Differentialgeometrie, der Analysis, der Zahlentheorie. Daneben interessierte er sich für die Verbindung der Mathematik zur Physik und zur Philosophie.
Weyls wissenschaftliche Leistungen drücken sich in der Vielzahl der Ehrungen aus, die er erhalten hat. So bekam er die Ehrendoktorwürde der Universitäten und Hochschulen Zürich, Oslo, Pennsylvania, Sorbonne, Columbia, New York und Stuttgart, er war Mitglied und Ehrenmitglied von 16 wissenschaftlichen Gesellschaften. 1925 erhielt er den Lobatschewsky-Preis der Universität Kasan, 1954 den Prix Arnold Raymond in Lausanne. In seiner 1913 zuerst erschienenen Monographie Die Idee der Riemannschen Fläche, die er Felix Klein gewidmet hatte, weil von diesem "die wichtigsten Grundgedanken, soweit sie nicht unmittelbar den Schöpfungen Riemanns entstammen, rühren", schreibt Weyl im Vorwort, er hatte die Absicht die Grundideen der Riemannschen Funktionentheorie in einer Form zu entwickeln, die allen modernen Anforderungen an Strenge völlig Genüge leistet, so daß sich die Begründung der "Begriffe und Sätze der Analysis situs nicht auf anschauliche Plausibilität beruft".
In der Gruppentheorie, einer gänzlich anderen mathematischen Disziplin, hat Weyl seine wahrscheinlich größte mathematische Leistung vollbracht mit den Arbeiten Theorie der Darstellung kontinuierlicher halbeinfacher Gruppen durch lineare Transformationen aus den Jahren 1925, 1926. Berühmt ist auch sein in englischer Sprache verfaßtes Buch Classical Groups, in dem Weyl für alle klassischen Gruppen eine algebraische Konstruktion ihrer Darstellungen durchführt. Für die volle komplexe lineare Gruppe hatte er dieses Problem schon in der Monographie Gruppentheorie und Quantenmechanik behandelt. In diesem Buch, in erster Auflage 1928 erschienen, beschäftigt sich Weyl mit dem damals jungen Zweig der Physik, der Quantenmechanik. Seine mathematischen Methoden erlauben ihm, ein Grundproblem der Quantenphysik zu lösen: Die gruppentheoretische Ordnung der Linienspektren von Atomen und Molekülen.
Weyls differentialgeometrische Überlegungen u.a. in Raum-Zeit-Materie waren von Bedeutung für die Verleihung des Lobatschewsky-Preises im Jahre 1925 durch die Universität Kasan. Hilbert macht in seinem Gutachten darauf aufmerksam, daß Weyl zeigt, "daß eine Erweiterung des üblichen Ansatzes der Differentialgeometrie, wie ihn Einstein von Riemann übernommen hat, möglich ist, und zwar durch konsequente Anwendung des Gedankens der Nahgesetzlichkeit indem man die Vergleichbarkeit der Längen im Endlichen aufgibt und nur die der Längenverhältnisse annimmt." Weyl entfernt dabei den letzten Rest der bei Riemann noch vorhandenen "Ferngeometrie" und errichtet das nach ihm benannte Gebäude der "Weylschen Geometrie". Hier kommt auch zum ersten Male der Gedanke einer Eichung auf, bei der die neu gewonnenen Freiheiten eine Normierung erlauben, eine Idee, die in den modernen Eichtheorien der heutigen Physik eine bedeutende Rolle spielt.
Weyl fühlte sich als Mittler zwischen Mathematik und Physik. In seiner Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaften fordert Weyl, "daß die Mathematik sich in den Dienst der Naturwissenschaft zu stellen habe", und an anderer Stelle: "Wen es zum Objektiven drängt, der kommt um das Relativitätsproblem nicht herum." So ist es erklärlich, daß ein zweites großes Werk Weyls sich der Physik zuwendet: Sein Buch Raum-Zeit-Materie, (1918) behandelt die allgemeine Relativitätstheorie Einsteins und deren mathematisches Werkzeug, die Differentialgeometrie.
"Ich kann es nun einmal nicht lassen, in diesem Drama von Mathematik und Physik - die sich im Dunkeln befruchten, aber von Angesicht zu Angesicht so gerne einander verkennen und verleugnen - die Rolle des (wie ich genügsam erfuhr, oft unerwünschten) Boten zu spielen".
Aus Weyls Buch Gruppentheorie und Quantenmechanik, von dem der Mathematiker Hans Freudenthal behauptete, daß aus ihm "die Physiker Gruppentheorie, die Mathematiker Quantenmechanik" gelernt hätten.