Die Folgen der Machtergreifung in 1933 wurden für die Mathematik in Göttingen sehr schnell spürbar, und sie waren verheerend. Obwohl auch andere wissenschaftliche Einrichtungen in Deutschland betroffen waren, erwiesen sich hier die Auswirkungen tiefgreifender als in den meisten anderen Instituten.
Die Zeit von 1929 an war schon äußerst krisenhaft. Die finanzielle Lage war sehr angespannt. Die große Wirtschaftskrise fiel mit der Einweihung des Mathematischen Instituts zusammen. Generell waren die Universitäten überfüllt, weil viele jüngere Menschen keine Arbeit fanden. Sie wurden sogar dazu ermuntert, sich als Studenten zu immatrikulieren, statt sich arbeitslos zu melden. Dagegen gab es kaum Aussichten für den wissenschaftlichen Nachwuchs, da viele Stellen gestrichen wurden. Darüber hinaus wurden die heftigen politischen Auseinandersetzungen dieser Zeit auch innerhalb der Fakultäten ausgetragen, und die Atmosphäre wurde dadurch vergiftet.
Einige Wissenschaftler versuchten durch Privatinitiativen die schlimmsten Folgen der Krise zu lindern. Courant und einige andere Mathematiker und Physiker setzten sich dafür ein, daß Ordinarien die Stelleneinsparungen aus eigener Tasche ausglichen, und dies brachte ihnen den andauernden Haß einiger Kollegen ein. Max Born organisierte ein Konzert, dessen Einnahmen für die Unterstützung begabter, notleidender Studenten verwendet werden sollten. Diese Maßnahmen waren aber nur kleine Trostpflaster angesichts der Ausmaße der Krise.
Vor diesem Hintergrund ereignete sich die Machtergreifung, und es folgte das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufbeamtentums" vom 7.4.1933. Obwohl dieses Gesetz auf kaum einen Professor der Mathematik oder Physik direkt anwendbar war, bewirkte es die fast vollkommene Zerstörung der math. nat. Fakultät. Einige der Mathematiker waren Juden, Hermann Weyl war mit einer Jüdin verheiratet; für sie, und durch sie auch für ihre Kollegen, waren die Zeichen der Zeit unverkennbar. Mehrere Mathematiker wie Weyl, Courant, Noether und Bernstein sowie die Physiker Born und Franck emigrierten.
Anfang des Wintersemesters 1933/34 blieben von den Ordinarien nur noch G. Herglotz und E. Landau in Göttingen. Die Vorlesung im Wintersemester 1933/34 des 56 jährigen Edmunds Landaus, eines der angesehensten Zahlentheoretikers seiner Zeit, wurde boykottiert, weil Landau Jude war. Er zog bald danach nach Berlin, wo er am 19.2.1938 starb. Kurator Valentin beauftragte im März 1934 den Landau-Assistenten Werner Weber, ein SA-Mitglied, mit der Geschäftsführung des Mathematischen Instituts, womit die Mathematik so kurz nach ihrem Höhepunkt einen kaum zu fassenden Tiefpunkt erreichte.
Natürlich wurden Versuche unternommen, neue namhafte deutsche Mathematiker nach Göttingen zu berufen. Es bestand die Hoffnung eines sofortigen Wiederaufbaus. Der junge, aber bereits als führender Zahlentheoretiker angesehene Helmut Hasse wurde schon im April 1934 berufen; er sollte auch die Geschäftsführung übernehmen. Es kam zu Streitigkeiten zwischen Weber, der das Amt nicht abgeben wollte, und Hasse. Es war im Grunde genommen ein Streit, ob mathematische oder politische Überlegungen Vorrang haben sollten; Hasses Motivation war vornehmlich von wissenschaftlicher Art, Webers dagegen politisch. Am 29. Mai 1934 weigerte sich Weber in Beiseins des Dekans, Hasse den Institutsschlüssel zu übergeben.
Nach Hasses Drohung, die Annahme seines Rufes rückgängig zu machen, wurde ein Ausweg gefunden. E. Tornier, ein Mathematiker und NSDAP-Mitglied wurde ebenfalls berufen, und Weber nahm Aufgaben in anderen Städten wahr. Weder Tornier noch seine beiden Nachfolger blieben lange. Hasse versuchte zu retten, was zu retten war. Der junge und brillante Carl Ludwig Siegel wurde berufen, aber die Bemühungen blieben unter den herrschenden Umständen vergeblich. Der Krieg rückte immer näher, und es blieb keine Zeit, um neue Forschungsgruppen zu bilden. Unter den damaligen Verhältnissen wurde es für jüngere Menschen zunehmend schwieriger, sich der Wissenschaft zu widmen. Siegel, der sich durch seine unabhängige politische Haltung unliebsam machte, flüchtete in den ersten Kriegstagen über Norwegen nach Amerika. Es blieb in Göttingen nur ein Schatten der alten Mathematik.
Durch ein Abkommen mit England wurden Göttingen sowie Oxford und Cambridge im Krieg verschont. Deshalb haben viele junge Leute nach dem Krieg ihr Studium in Göttingen aufnehmen können. Die wirtschaftliche Lage war sehr schlecht, und durch die Kriegsverluste gab es nur wenige Hochschullehrer. Alle hatten einen steinigen Weg vor sich . Angewidert von dem Alptraum der vergangenen Jahre stürzten sich die neuen Studenten auf die Wissenschaft. So ging der wissenschaftliche Wiederaufbau in Deutschland zu einem guten Teil von Göttingen aus.
Trotzdem konnnte nach dem Krieg Göttingen nicht wieder das sein, was es vor dem Krieg war. Insbesondere in den USA, wohin viele Wissenschaftler aus Europa geflüchtet waren, blühten die Wissenschaften auf. Nur wenige von ihnen kamen zurück; unter ihnen C.L. Siegel, nun als einer der größten Mathematiker seiner Zeit angesehen. Er kehrte 1952 nach Göttingen zurück, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1981 wirkte.
Heute kann keine Stadt mehr das Zentrum der Mathematik sein, wie es vorher in Göttingen der Fall war; dazu ist die Mathematik zu vielfältig geworden. Aber in Göttingen ist heute die Mathematik wieder lebendig, und die mathematischen Institute der Mathematischen Fakultät sind angesehene Zentren internationaler wissenschaftlicher Zusammenarbeit.