In der Theorie der algebraischen Invarianten verdienen, wie mir scheint, die Fragen nach der Endlichkeit voller Formensysteme ein besonderes Interesse. Es ist neuerdings L. Maurer {Vgl. Sitzungsberichte der K. Akademie der Wiss. zu München 1899 und eine demnächst in den mathematischen Annalen erscheinende Arbeit} gelungen, die von P. Gordan und mir bewiesenen Endlichkeitssätze der Invariantentheorie auf den Fall auszudehnen, daß nicht, wie in der gewöhnlichen Invariantentheorie, die allgemeine projektive Gruppe, sondern eine beliebige Untergruppe der Definition der Invarianten zu Grunde gelegt wird.
Die Beschäftigung mit der Frage nach der Endlichkeit der Invarianten hat mich auf ein einfaches Problem geführt, welches jene Frage nach der Endlichkeit der Invarianten als besonderen Fall in sich enthält, und zu dessen Lösung wahrscheinlich eine erheblich feinere Ausbildung der Theorie der Elimination und der Kroneckerschen algebraischen Modulsysteme nötig ist, als sie bisher gelungen ist.
Es seien eine Anzahl m von ganzen rationalen Functionen der n Variabeln x1,x2,...,xn vorgelegt:
(S)           | X1 = f1(x1,...,xn) |
---|---|
X2 = f2(x1,...,xn) | |
. . . . . . . | |
Xm = fm(x1,...,xn) |
Jede ganze rationale Verbindung von X1,X2,...,Xm wird offenbar durch Eintragung dieser Ausdrücke notwendig stets eine ganze rationale Function von x1,x2,...,xn. Es kann jedoch sehr wohl gebrochene rationale Functionen von X1,X2,...,Xm geben, die nach Ausführung jener Substitution (S) zu ganzen Functionen in x1,x2,...,xn werden. Eine jede solche rationale Function von X1,X2,...,Xm, die nach Ausführung der Substitution (S) ganz in x1,x2,...,xn wird, möchte ich eine relativganze Function von X1,X2,...,Xm nennen. Jede ganze Function von X1,X2,...,Xm ist offenbar auch relativganz; ferner ist die Summe, die Differenz und das Product relativganzer Functionen stets wiederum relativganz.
Das entstehende Problem ist nun zu entscheiden, ob,es stets möglich ist, ein endliches System von relativganzen Functionen von X1,X2,...,Xm aufzufinden, durch die sich jede andere relativganze Function von X1,X2,...,Xm in ganzer rationaler Weise zusammensetzen läßt. Wir können das Problem noch einfacher formuliren, wenn wir den Begriff des endlichen Integritätsbereiches einführen. Unter einem endlichen Integritätsbereiche möchte ich ein solches System von Functionen verstehen, aus welchem sich eine endliche Anzahl von Functionen auswählen läßt, mit deren Hilfe alle übrigen Functionen des Systems in ganzer rationaler Weise ausdrückbar sind. Unser Problem läuft dann darauf hinaus, zu zeigen, daß die sämtlichen relativganzen Functionen eines beliebigen Rationalitätsbereiches stets einen endlichen Integritätsbereich bilden.
Es liegt auch nahe, das Problem zahlentheoretisch zu verfeinern, indem man die Coefficienten der gegebenen Functionen f1,f2,...,fm als ganze rationale Zahlen annimmt und unter den relativganzen Functionen von X1,X2,...,Xm nur solche rationalen Functionen dieser Argumente versteht, die nach Ausführung jener Substitution (S) ganze rationale Functionen von x1,x2,...,xn mit ganzen rationalen Coefficienten werden.
Ein besonderer einfacher Fall dieses verfeinerten Problems ist der folgende: Gegeben seien m ganze rationale Functionen X1,X2,...,Xm der einen Veränderlichen x mit ganzen rationalen Coefficienten und ferner eine Primzahl p. Man betrachte das System derjenigen ganzen rationalen Functionen von x, welche sich in der Gestalt
darstellen lassen, wo G eine ganze rationale Function der Argumente X1,X2,...,Xm und ph irgend eine Potenz der Primzahl p ist. Frühere Untersuchungen von mir {Mathematische Annalen, Bd. 36 S. 485} zeigen dann unmittelbar, daß alle solchen Ausdrücke bei bestimmtem Exponenten h einen endlichen Integritätsbereich bilden; die Frage ist aber hier, ob das Gleiche auch für alle Exponenten h zugleich gilt, d.h. ob sich eine endliche Anzahl von solchen Ausdrücken auswählen läßt, durch die jeder andere Ausdruck von jener Gestalt für irgend einen Exponenten h ganz und rational darstellbar ist.
Hilbert's Problems, English.
Hilberts Probleme, deutsch.
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